Platzmangel in der Weltanschauung

Ich sitze hier gerade in der Straßenbahn. Irgendwie schon komisch, dass ich in den öffentlichen Verkehrsmitteln am häufigsten von Gewaltfantasien heimgesucht werde. Ich sitze da also so auf einem Sitz und habe meinen Rucksack auf dem Sitz neben mir. Das wäre schon recht unhöflich, wenn die Straßenbahn zum bersten voll wäre und neben mir zwei Rentner über ihrem Gehwagen im Hitzekoma liegen würden. Tatsächlich ist die Bahn aber gähnend leer und mein Rucksack muss gar nicht dreckig werden.

Da watschelt so eine Erdkunde- und Biolehrerin auf mich zu, die schon mit drei Generationen Genverschleiß zu kämpfen hat. Gott bewahre, vielleicht ist sie sogar Kindergärtnerin oder Pflegerin, aber definitiv ist das jemand, der den Umgang mit ihren mündigen und erwachsenen Mitmenschen verlernt hat. Alt geworden ist sie in den 38 Jahren dröger Existenz. Trägt unter ihrer hässlichen Brille dieses weinerlich autoritäre Dauernörgeln, “iss deinen Teller auf”. Stets auf eine Gelegenheit aus, sich durch Banalitäten und Binsenweißheiten Respekt zu verschaffen. Über das ständige Scheitern dieser hoffnungslosen Strategie dann bitter und fett geworden, nie die eigene Inhaltlosigkeit reflektiert. Und das jetzt auch noch, zu allem Überfluss, bei mir in der Straßenbahn.

Sie deutet auf den Platz neben mir. Da möchte sie sitzen, statt meines Rucksacks. Sie hat entschieden, dass sie mir jetzt mal erklären muss, dass Menschen in der Straßenbahn nur einen Platz einzunehmen haben. Das muss sie aber gar nicht, sie könnte sich auch einfach auf einen freien Platz setzen und ihren Mitmenschen nicht zum Ärgernis werden. Sie sieht das natürlich anders, ich bin das (potentielle) Ärgernis. Sie ist zu engstirnig, um sich vorstellen zu können, dass man den Beutel einfach dann auf den Schoß nimmt, wenn die Bahn voll wird. Also belästigt sie mich jetzt mal lieber präventiv. Und sie glaubt auch noch, sie tut der Welt was gutes. Die Frau ist ein wandelnder Seuchenherd der Ignoranz. Aus bitterer Erfahrung weiß ich: Es hat keinen Zweck, ihr das zu erklären.

Ich stehe also auf mit meinem Rucksack, und setze mich auf einen anderen freien Doppelplatz. Sie schaut ein wenig konsterniert, denn diese Option war ihr wohl nicht vorher in den Sinn gekommen.
Sie sagt etwas zu einem anderen Fahrgast, um die Lächerlichkeit der Situation zu zerstreuen. Ich höre von dem dämlichen Gelaber zum Glück kein Wort, Keith Palmer erklärt mir etwas über Füchse, er ist sehr aufgeregt. Ich starre sie an, wütend und stumm mit dem Kopf schüttelnd. Sie versteht die Welt nicht mehr.

Addendum: Einige Stationen weiter, die Straßenbahn ist voll. Ich habe meinen Rucksack auf dem Schoß und belege ganz brav nur einen Sitz. Die Lehrerin ist leider schon vorher ausgestiegen und konnte so leider gar nichts daraus lernen. Hoffentlich hat sie keine Kinder.

Innen

Bäcker innen, Bäcker außen, Bäckerixe. Wären alle Bäcker außen, gäbe es keine Bäcker innen, und innen sind Bäcker am besten. Bäcker innen sind aber nicht umbedingt besser als Bäcker außen, deswegen sollte es eigentlich Bäcker innen/außen heißen, finde ich. Nur so eine Anregung, damit sich das fleischfaschistische Chovinistenregime der rechtsnormalen Bildungsschicht mal ein bisschen Gedanken macht über die Dinge, die wirklich wichtig sind.

Mehr Menschlichkeit für Menschen

Ich lief neulich durch die U-Bahn und wurde von diesem Plakat angeschrien:

Nina sonstwer brüllt für Tiere oder so

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Was für verblendete, heuchlerische, arrogante, selbstgerechte Idioten. Sitzen in unserem kleinen, sattgefressenen Land den ganzen Tag auf dem Arsch und wissen vor lauter Wohlbefinden gar nicht mehr, wohin mit all ihrem Mitleid. Macht doch mal eure verdammten Augen auf! Eure eigene Spezies hat genug Probleme.

Überall auf unserem Planeten tobt das menschliche Elend. Ich muss da gar nicht ins Detail gehen. Lest halt Zeitung. So oder so ist klar, von Menschlichkeit für Menschen sind wir noch weit entfernt. Also ganz egal, ob irgendwelche stinkenden Paarhufer nun genau so behandelt werden sollten wie eure Mitmenschen, vielleicht hat letzteres auf jeden Fall erst mal Priorität?

mccullin

Also nochmal zum Abschluss. Wenn ich nur einen von den beiden im folgenden Bild aus dem Kriesengebiet retten könnte, dann wäre es der kleine Junge, und nicht die süße Katze. Lieber Leser, wenn Dein erster Impuls beim Betrachten des Bildes davon abweicht —

Mohammad, 13 year-old fighter from the Free Syrian Army, plays with cat in Aleppo's Bustan al-Basha district

dann stimmt etwas nicht mit Dir.

Alle jammern über die Demographie, keiner tut was.

Ekelhaftes, überaltertes Deutschland. Überall husten und keuchen in Jack Wolfskin gekleidete Mohrleichen um die Wette. Ständig sind sie einem im Weg, langsam watschelnd, humpelnd oder elend über einen Gehwagen gebeugt. Über die Hälfte davon auch noch dement. Begreifen nicht mal, dass sie gerade so lange mit ihrem Körper den Weg zum Ausstieg blockiert haben, bis der ICE dann einfach weitergefahren ist. Und das wird als medizinischer Fortschritt gefeiert, ist doch abartig.

Hörmuscheln

Wenn ich unterwegs bin mit der Straßenbahn, auf dem Weg von und zur Arbeit, oder auch sonst, wenn der Weg länger als 6 Minuten dauert, höre ich ein Hörbuch. Mit Kopfhörern. Es ist ein schönes Hörbuch, ich höre es sehr gern.

Ich finde es allerdings befremdlich, dass ich ständig von Leuten wegen absolut belangloser Banalitäten angesprochen werde, obwohl ich ganz offenkundig Kopfhörer trage. Nur befremdlich finde ich das allerdings. Ich antworte dann immer mit dem Satz

“Ich kann Sie nicht hören wegen der Kopfhörer, einen Moment. Ich höre ein Hörbuch.”

Die wichtigen Informationen sind alle in diesem Satz enthalten. Ich kann Dich nicht hören. Ich kann die Kopfhörer nicht einfach entfernen, weil ich diesem Hörbuch lausche. Ich drücke gleich auf Pause, dann können wir reden. Zumindest ist es das, was ich zu sagen versuche. Was ich tatsächlich zu sagen scheine, ist

“Bitte reden Sie weiter auf mich ein. Es ist überhaupt kein Problem, mich auf Ihr schon akustisch schwer verständliches und vermutlich absolut irrelevantes Gefasel zu konzentrieren, während ich mein Hörbuch höre. Ihre Kleidung ist sehr stilvoll gewählt.”

Apokalyptische Springflut der Verachtung.

Mozartkugeln in der Deutschen Bahn

Die erste Durchsage gab es gerade mal fünf Minuten, nachdem ich eingestiegen war. Zug stand noch. In schmerzhaft gebrochenem Deutsch quälte sich ein junger Mann duch die Ansage, dass es noch einige Minuten dauern würde, bis wir abfahren. Die zweite kam dann kurz nach Abfahrt. Ein Baum sei auf den Gleisen. Die Weiterfahrt verzögere sich.

Wir standen inzwischen aber irgendwo in der Pampa, nur eine elende kleine Tankstelle gegenüber der schimmeligen Bauruine, die man dortzulande einen Bahnhof schimpft. Da wollte sich der Lokführer etwas beliebter machen und kündigte an, es seien noch 15 Minuten bis Abfahrt. Man könne gern kurz aussteigen. Er würde niemanden vergessen.

Tatsächlich waren alle sichtlich aufgeheitert, und mir kamen Bedenken, den armen Mann nur wegen mangelnder Sprachkenntnisse für einen schlechten Ansager gehalten zu haben. Vielleicht konnte er das durch Zuvorkommen und Humor ja ausgleichen.

Nach kurzer Debatte beschlossen die beiden Backpacker-Mädels neben mir, dass eine von Ihnen kurz zur Tankstelle stiefelt, um Mozartkugeln zu kaufen. Es sind keine sieben Minuten vergangen und Sie ist gerade auf dem Rückweg, da piepst es fröhlich aus den zuginternen Lautsprechern und der Blechwurm rollt los. Fassungslos starren sich die Backpackerinnen durch das regenverschmierte Seitenfenster an. Im Augenwinkel sehe ich eine Packung Mozartkugeln still zu Boden fallen.

Sofort stürmt die im Zug Hinterbliebene nach vorne in Richtung Fahrer, kommt jedoch nach einigen Minuten erfolglos zurück. Fast schon lustig wäre das, meint sie. Finde ich irgendwie gar nicht. Am nächsten Bahnhof schleift sie zwei mannsgroße Säcke aus dem Zug, die offenbar mit Backsteinen gefüllt sind. Zurückfahren will sie, um Ihre Kollegin abzuholen.

Würde mich natürlich alles viel wütender machen, wenn ich direkt betroffen gewesen wäre. Ich hätte aber vermutlich auch einfach die Notbremse gezogen und der hirnamputierten Dampfnudel von Lokführer ausführlich erklärt, was für ein Totalversager er ist, und da halte ich meinen Standpunkt für recht solide.

Liebe Deutsche Bahn. Erhöht doch Euer Anforderungsprofil dahingehend, dass Eure Mitarbeiter die eckige Form nicht immer wieder in die runde Öffnung schieben wollen. Nur so ein Gedanke.

Akademikerromanze

Arbeitslos ist sie jetzt, das erklärt die übergewichtige Punkerin mit der abgebrochenen ErzieherInnen Ausbildung ihrem ebenso übergewichtigen Schulfreund, den sie gerade zufällig im Supermarkt wiedergetroffen hat. Ich bin auch da und höre schon eine Weile zu, ich kaufe Äpfel. Da bin ich pingelig, soll ja nicht aussehen als wären die vom Nachbarn geklaut. Schön rund und rot und ganz ohne Druckstellen sollen sie sein, fast so wie die Punkerin.

Sie kauft keine Äpfel, sondern Snickers. Auf Bachelor [sic] würde sie jetzt studieren wollen. Er studiert schon. Eine Mischung aus Chemie, Design, Lebensmitteltechnologie und Maschinenbau wäre das. Wie der Studiengang heißt, das weiß er gar nicht so genau. Ich halte mich weinend an einem Apfel fest.

Ob er denn eine Freundin hätte, leitet sie geschickt über. Ohne seine Antwort abzuwarten; ob denn da auch Frauen wären, in seinem Studiengang. Schon einige. Auch Hübsche? So zwei etwa. Dann würden sie sich ja bald mal an der Uni sehen. Lehrerin will sie werden, das erfahre ich noch auf dem Weg zur Milch. Die Fächer bekomme ich nicht mit, aber die interessieren sie auch eigentlich gar nicht. Aber ist doch geil, mal ein bisschen Studieren, und Lehrer sein sicher auch.

Zwei junge Akademiker, die dabei sind, sich zu verlieben. Schön ist das.

Für ein Fettverbot im ÖPNV

Seit einiger Zeit schon ist ja nun Rauchen an vielen Orten verboten. In Amerika darf man in der Öffentlichkeit keinen Alkohol trinken. Neulich hat sich im Bus jemand neben mich gesetzt, der war so fett, dass ich vor lauter Unbehagen beinahe aufgestanden wäre, denn lieber hätte ich gestanden. Hab ich dann aber nicht gemacht, weil das etwas unhöflich ist, dachte ich mir. Und das hat mich dann ziemlich geärgert.

Wenn er gestunken hätte bis zum Himmel, nach 3 Tage lang Wodka-RedBull etwa, dann wäre das nicht unhöflich gewesen. Darf auch keiner im ÖPNV rauchen, weil das die anderen Fahrgäste stört. Nicht mal Musik hören oder Döner essen darf man in den meisten Bahnen. Aber fett sein, das darf man.

Übergewicht ist mindestens so ungesund wie Rauchen oder Saufen, aber so verpöhnt ist es lange nicht. Echtes Übergewicht los zu werden ist sicher kein Klacks, aber trocken bleiben ist vermutlich schwieriger. Das Rauchen aufzugeben ist auch keine leichte Sache. Aber so einen Kettenraucher mit schleimigem Krebshusten oder ein Säufer, bei dessen Gestank euch die Tränen kommen, den hat niemand gern. Da darf der Ekel das Mitleid überwiegen, ohne dass man politisch unkorrekt ist.

Aber auf Fettberg Mc’Speckschwate muss ich Rücksicht nehmen und ihn so akzeptieren, wie er ist. Aber warum! Ist doch überhaupt nicht gut, so fett zu sein, und man kann es ja ändern! Warum hat unsere Gesellschaft solche Schwierigkeiten, das zuzugeben?

I've done everything to lose weight - except for a proper diet and exercise.

Da gibt es immer noch die Haarspalterei, dass manche Leute ja nichts für ihr Gewicht können, weil’s von irgendeiner Krankheit kommt. Es gibt auch genetische Prädisposition zur Nikotin- und Alkoholsucht. Das interessiert aber auch keinen, weil es halt nun mal echt selten ist.

Die meisten Leute mit Übergewicht haben es, weil sie Dreck fressen und sich nicht bewegen und es dann nicht auf die Reihe bekommen, etwas zu ändern, wenn sie immer fetter werden.